LYRIK JETZT
- habild
- 1. Feb. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Nov.
HERBST 2025

SOMMER 25
POETISCHE STILLLEBEN,
so still und zart und leise, doch teilweise belebt, synästhetisch. Geschriebene Bilder, die sich in die Phantasie hineinmalen dürfen.
Und Fragen über Fragen stellen diese naturae morte: Gehen die einzelnen Ingredienzien Verbindungen ein, schenken sie sich gegenseitig etwas, und sei es nur eine Bedeutung – im Betrachter oder auch durch die schiere Nähe ihrer Anordnung? Wollen sie eins wie das andere etwas über den Anderen offenbaren, haben sie sein Geheimnis erkannt, oder sind sie rein selbstbezogen und wollen sich nur selbst ins beste Licht setzen? Geben sie dem Anderen etwas, was dieser dringend zur weiteren Existenz braucht?
Königskind
Sylter Muscheln auf dem Esszimmertisch, in einer kleinen Schale, servieren uns die Nordsee ins Haus. Daneben buhlen weiße Hortensien im Tonkrug. Und in der Mitte die Königskerze dessen, der den 1. Teil seiner Kindheit hinter sich lässt, mit weizengelbem Haar, ein kleiner Prinz.
Und unscheinbar ein Mängelexemplarbuch, dessen Mängel man vergeblich sucht.
Elementarteilchen des Duftes
Die Löwenmäulchen und die Strohstühle stehen traurig im Regen. Auch der Sommerflieder lässt seine Dolden hängen und verströmt nicht seinen altertümlich-betörenden Duft aus dem letzten Jahrhundert. Ausgerechnet der Sonnenhut streckt sich mutig dem Regen entgegen.
Der muffige Geruch, der aus dem Haus nach draußen strömt,
löst sich sofort in seine Bestandteile auf und verliert sich. Sitzen seine Teilchen auf Löwenmäulchen, Sommerflieder, Sonnenhut und den Strohstühlen? Ist er unwiederrufbar nach draußen gewandert?
Pfingstwunder
Holunderblütenpfannkuchen, knusprig braun am Rand. Die Pfingstrosen, gerade aufgeblüht, beugen sich darüber, wie um ihn neugierig anzuschauen. Er liegt nur stumm da und harrt seines Schicksals. Über ihn krabbelt ein Eindringling, Abgeordneter einer invasiven Art, vielleicht der Erste von Scharen, die noch folgen werden: ein asiatischer Marienkäfer.
Alles ist Bluna
Auf dem Kiosktisch liegen eine alte, leere Bluna-Plastikflasche, und ein Päckchen Zigaretten, daneben. Darüber hocken Gesichter. Aufrecht steht eine Flasche Pils. Eine kleine Wespe krabbelt traurig und erfolglos dazwischen herum.
Metarmorphosen
Eine Schnirkelschnecke auf dem Gartentisch, der Liebespfeil ausgefahren, bereit zum Abenteuer. Schnaken auf den nackten Beinen, unser Blut nährt sie. Aus dem Tisch wächst ein grüner Haferkeim, aus den Körnern des Wintervogelfutters. Im Hintergrund ein Zikadenwunder in der warmen Wiese: Gezirpt wird im genau gleichen Rhythmus. Ihre Häutungen finden sich allüberall, Wunder der Metarmorphose.
Der ungebetene Gast
Hopfengirlanden räkeln sich auf dem Buffet, neben Traubenrispen, veganer Entenpastete und feuerrotem Eintopf. Der Champagner perlt zum Abwinken. Alles beugt sich den Gästen entgegen, gespannt: Werden sie je eintreffen? Wer wird den größten Gefallen finden? Bis ein neugieriger Grünfink dazuhüpft, ein ungebetener Gast, wahllos, aber doch wenigstens einer.
FRÜHLING 25

HERBST/WINTER 24,25


lesen wir auf einer Feuerwehrwache in London.
The british empire ist hierher gelaufen
und taumelt blind in die Moderne.
Hinter der nächsten versifften Ecke
riecht es schon wieder nach Gediegenheit.
Wir rennen wahllos
zu underground-stations, flowermarkets, museums
and other sights.
Big Ben bei Nacht spuckt auf die Themse
und steht einfach über den Dingen.
Love is the running towards
lesen wir auf einer Feuerwehrwache.
Ein Gedicht über London ist immer nur
ein An-Satz.

SOMMER 24
Links-Rechts

Gjirokastr-Albanien
"In jedem Reisenden, der sie zum ersten Mal erblickte, erweckte die Stadt sofort das Verlangen, Vergleiche anzustellen. Doch kaum war ihr der Reisende in die Falle gegangen, machte die Stadt den Vergleich zunichte, denn sie war eine Stadt, die nichts anderem glich." (Ismail Kadare: Chronik in Stein)
Es ist dies eine steile Steinstadt.
Wie eine Glucke hockt die Burg
auf osmanischen Turmhäusern
die zum Jezerca-Gebirge glotzen.
Des Tags und des Nachts,
wenn die Talwinde aus dem Norden
die Steine bedrängen.
Der türkische Kaffee döst
nichtsahnend in der Cezve,
die trächtigen Hunde
im Schatten der immergrünen Magnolie.
Nur die Burg weiß,
was hier passiert ist
in tausendenundeinem Jahr.
Gjirokastr - du Wiege des sozialistischen Albaniens -
einst hallten hier die Schreie
des Säuglings Enver Hoxa wider,
der in deinen Mauern schützend geboren ward,
und sich hier entschied,
ein Diktatorherz aus Stein zu formen.
Heim-Suchung
Das Oderbruch -
Trockengelegter Sumpf
und ich komme hierher,
weil auch ich meine
inneren Sümpfe durchwatet
und vermessen habe.
Der Blick nach Polen
ist der in die Wildnis
und das Sternenfunkeln hier noch heller
und das Grillenzirpen hier noch lauter
und meine Seele geht hier an Land
und findet einen Klangraum
der nach Heimkommen riecht.
"Lyrik jetzt": Gedichte formen sich da, wo Schönheit erspürbar ist. Wo Eigensinn ist. Wo Worte Materie werden wollen. Wo etwas die Seite wechseln will. Auf die Seite der Ewigkeit.



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